Schwestern mit langem Haar, hochkarätiger Besuch und Spurensuche

Eine Temporäre Installation von Arne Lösekann www.arneloesekann.de

Text und Rrecherche von Anne Simone Krüger http://annesimonekrueger.de

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Die inhaltliche und geographische Klammer zwischen dem Rathaus und der Katharinenkirche schließt sich also genau hier – die Katharinenkirche auf dem Giebel des Rathauses hat eine ihr sehr ähnliche Schwester an der Südseite des Turmes. Die Skulptur aus Sandstein datiert auf 1639 und stammt vom alten Bau der Katharinenschule. (1) Eine sehr viel moderne weitere Schwester steht mit wehendem Haar auf dem Ostgiebel über dem Chor und segnet von dort oben aus Stadt und Hafen. Andere historische Damen der Familie finden sich auch im Innern der Kirche, u.a. eine farbig gefasste Holzfigur aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts und eine weitere von etwa 1500. Dort innen bekommen sie einiges geboten. Denn in dem schlicht-eleganten Kirchenraum werden nicht nur Gottesdienste abgehalten. Er ist heute das Zentrum eines lebendigen Quartiers in dem gelebt, gewohnt und gearbeitet wird, in welchem es eine Kita, eine Schule und einen Wochenmarkt gibt. In der Kirche selbst finden Konzerte, Lesungen und Ausstellungen statt. So sind die weißen Schaukeln im Baum auf dem Katharinenkirchplatz nicht zuletzt eine Reminiszenz an eine Performance, die der Künstler Arne Lösekann im September 2017 in der Kirche aufführte. Zusammen mit dem Denkmalschutzamt und dem mobilen Kino „Flexibles Flimmern“ gab es zum Tag des Offenen Denkmals Geheimnisse aus Pracht, Verfall und Wiederaufbau St. Katharinens zu entdecken, die sich mit den performativen Interventionen aus Installationen und Projektion von Arne Lösekann verwoben. Aber auch zahlreiche andere Künstler haben die Kirche mit spannenden Perspektiven gefüllt. Erst vergangenes Jahr beherbergte St. Katharinen temporär Werke von Ai Weiwei, Vanessa Beecroft, Joseph Beuys, Asta Gröting und Rebecca Horn. (2)


Foto: Arne Lösekann

Bevor wir den Innenraum betreten lohnt ein Gang rund um die Kirche, denn es gibt viel zu entdecken, u.a. alte Portale oder die Treppe zum Turm, dessen 23 Meter hoher Unterbau das älteste aufrechtstehende Bauwerk Hamburgs ist. Insgesamt hat der Turm eine stolze Höhe von 116,7 Metern vorzuweisen. Darin hängen heute 5 lautstarke Glocken, eine davon ist von 1626, die anderen wurden nach dem zweiten Weltkrieg erneuert. Eine beschädigte Stundenglocke von 1454 ist in der Turmhalle der zu sehen. In der Länge misst die Kirche außen 75,5 Meter, innen ist das Kirchenschiff 56,07 Meter lang, 28 Meter breit und im Mittelschiff 26 Meter hoch. (3) An vielen Stellen der Außenmauer erkennt man, dass Teile verschiedenster Bauphasen im Mauerwerk aufeinandertreffen. Heute kaum mehr vorstellbar ist, dass an den Chor noch bis 1888 zahlreiche kleine Gebäude direkt anschlossen. Wohnen mit Gottes Segen oder so ähnlich... 1888 wurden die Gebäude abgerissen. (4)


Foto: St. Katharinen. Die Hauptkirche und ihr Viertel – eine Wiederentdeckung. hrsg. von der Hauptkirche St. Katharinen, Hamburg 2013, S.210, Bildarchiv des Denkmalschutzamtes Hamburg.

Was jedoch fehlt ist – richtig, ein Friedhof. Das war allerdings nicht immer so. Denn bis ins 18. Jahrhundert wurden die Toten direkt in der Kirche in Grüften bestattet. Ein beeindruckender Gräberplan aus dem Jahr 1710 führt dies eindrucksvoll vor Augen. Die Lebenden waren hier mit ihren Toten eng verbunden. Die Gräber unter dem Fußboden waren durchgehend bis in die Zeit der französischen Besatzung von 1811 bis 1814 angelegt – erst die Franzosen verboten die Bestattung innerhalb der Kirchen. (5) Das hätte vermutlich im wahrsten Sinne des Wortes die Pferde scheu gemacht. 2.200 Stück wurden im Winter 2013 von Napoleons Marschall Davout in den Kirchen St. Petri, St. Katharinen und St. Jacobi untergebracht. Als die Gemeinden ein Jahr später mit dem Abzug der Franzosen ihre Kirchen wieder betreten duften waren die Schäden groß und ebenso der Schrecken. Schuld waren allerdings nicht die Tiere, sondern die Soldaten, die die Gräber teilweise aufgebrochen und die Platten zerschlagen hatten.

Foto: St. Katharinen. Die Hauptkirche und ihr Viertel – eine Wiederentdeckung. hrsg. von der Hauptkirche St. Katharinen, Hamburg 2013, S.79.

Nimmt man sich genug Zeit entdeckt man überall an, in und um die Kirche herum Geschichte. Und für alle, die noch mehr wissen wollen, empfiehlt sich eine Führung, die direkt im Gemeindebüro gebucht werden kann.

(1) Vgl. St. Katharinen. Die Hauptkirche und ihr Viertel – eine Wiederentdeckung. hrsg. von der Hauptkirche St. Katharinen, Hamburg 2013, S.135.

(4) Vgl. St. Katharinen 2013, S.210.

(5) Vgl. ebd. S.203 und 224.


beteiligte: 

künstler: arne lösekann http://www.arneloesekann.de

text und recherche:  anne simone krüger http://annesimonekrueger.de

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